Mein Faible für Roadtrips in Nordamerika ist hinlänglich bekannt. Deshalb konnte ich auch den Highway 50 quer durch Nevada nicht einfach ignorieren. Die Straße trägt nämlich den vielversprechenden Beinamen “Americas Loneliest Road” ..
Nichts los hier. Absolut nichts. Nichts rührt sich, reinweg gar nichts, und das bis zum Horizont und wohl auch noch Lichtjahre dahinter. Unwillkürlich stellt sich die Frage, was man wohl macht, wenn in diesem Vakuum der Wagen plötzlich den Geist aufgibt. Die US-50 führt von Ely im Osten nach Carson City 400 Kilometer weiter westlich. Zwei Käffer in Nevada, die keiner kennt, weil alle nur nach Las Vegas wollen: das eine eine schläfrige Ex-Boomtown mit klapprigen Kasinos an der Main Street, das andere die nüchtern-öde Hauptstadt des Bundesstaats. Dazwischen die Great Basin Desert, eine psychedelische Landschaft aus Fels, Stein und Geröll und darin eine Handvoll weiterer Käffer, in allen Stadien des Siechtums.
US-50: Roadtrip into the Middle of Nowhere
Und natürlich passiert auch dort nichts. Und irgendwann man stellt fest, wie verdammt gut das tut! Immer weniger denkt man, und immer langsamer. Am Ende parkt das Hirn auf Stand-by. „Empty your cup“, sagen die Amerikaner dazu. Im Land der 50-Stunden-Woche und zehn Urlaubstagen pro Jahr nach 20 der Firmentreue gibt es hier viele wunderbare Ausdrücke für Überarbeitung und das ganze Drumherum. „Burn-out“, „Sabbatical“, „Soul Searching“: Wer ausgebrannt ist, lässt den November in der Seele hinter sich, indem er sich eine Auszeit nimmt und in aller Ruhe über den Sinn des Lebens nachdenkt. Und zwar am besten, auch dafür gibt es zwei schöne Begriffe, auf einem “roadtrip” durch “the middle of nowhere“. Jede deutsche Übersetzung vermasselt das nur.
Hitzeflimmern und Tumbleweeds
An der US-50 gibt es keine McDonald’s, keine Shopping Malls oder andere Abziehbilder des American Dream. Es gibt nur Originale. Wahrscheinlich waren es die windschiefen Saloons mit ihren wurmstichigen Tresen und die Hotels mit ihren knarrenden Metallrahmenbetten, die vor 30 Jahren oder so diesen LIFE-Reporter abtörnten. Es gebe, schrieb er, so gar keine Sehenswürdigkeiten an dieser Straße, und überhaupt sei dies Amerikas einsamste Straße und deshalb nicht zu empfehlen. Doch Amerikaner lieben nun mal Superlative, und seitdem hat die US-50 ihren Namen weg: Als „Americas loneliest road“ zieht sie Sinnsucher an. Kein Gegenverkehr, keine Sonntagsfahrer, keine Psychopathen am Heck. Nur diese leere, hitzeflimmernde Straße, die durch endlose, von Salbeibüschen bedeckte Ebenen bis zum Horizont führt, wo sie in der Falte eines braunen Gebirges verschwindet und leise raunt: Genieß mich, Baby! Bin ich etwa nicht die Straße, von der du immer geträumt hast ..?
In Nevada ging es schon immer nur um das Eine
Ely, die alte Boomtown, hat sie zumindest halbwegs wachgeküsst. Einst buddelten sich hier 14.000 Menschen durch den Fels. Für Kupfer im Wert von einer Milliarde Dollar, es lohnte sich. Seit aber vor 35 Jahren der letzte Hochofen dichtmachte, ist der Ort schwindsüchtig, sind die alten „glory holes“ draußen vor der Stadt nur noch potthässliche Löcher in der Landschaft. Im Hotel Nevada, wo früher die Kupfer-Barone wilde Partys schmissen, wartet man heute im kühlen Halbdunkel der Bar darauf, dass etwas passiert. Bis dahin schwingt der drei Stockwerke hohe Bergmann aus Neonröhren an der Fassade die Spitzhacke weiter. Für die paar Touristen, die sich hierher verirren und ein Foto von ihm machen, weil sie doch nicht umsonst von der 50 abgebogen sein wollen.
Copper Flat, Treasure Hill, Diamond Range: Immer ging es nur um das Eine. Im Autoradio auch. Sie würde ihren treulosen Gatten am liebsten umlegen, heult eine Frau. Talk-Guru Dr. Laura rät ihr, die Knarre im Schrank zu lassen. Setz´ Dich lieber ins Auto, wenn Du Dampf ablassen musst, sagt Frau Doktor. Empty your Cup also auch im Äther, mit Segen von Amerikas berühmtester Instant-Psychologin. Im Schatten nackter, brauner Berge arbeitet sich die Straße über ein Gebirge. Jenseits der White Pine Range zerfließt der Alltag daheim endgültig zu einer verschwommenen Collage. Job, Frau, Kind, Kater, alles nicht mehr wichtig. Der Missmut, der zu Hause so oft die Mundwinkel nach unten zog, er verliert sich irgendwo zwischen Kühlerhaube und Horizont. Wie weit ist es wohl bis dorthin? Schiffskapitäne würden sagen: Von der Brücke aus 16 Kilometer, min Jung. Von hinterm Lenker sieht es viel weiter aus.
Pony Express Riders: Die härtesten Teenager im Westen
Und immer wieder Gebirgszüge, hier Ranges genannt. Abweisende Mauern in der Landschaft, bis zu 3000 m hohe Barrikaden. Nacktes Land, mal braun, mal rot, mal purpur. Als hätte der liebe Gott hier geübt, bevor ihm Besseres gelang. Eine Landschaft wie im LSD-Rausch gleitet vorbei, passend dazu im Radio: die Doors, Grateful Dead, Quicksilver. Britney Spears würde alles nur versauen. Eureka gleitet vorbei, noch so eine alte Boomtown, die in der Hitze vor sich hindöst. 8000 Menschen wühlten früher in den Hügeln ringsum nach Silber, zwei oder drei wurden reich. Gegenüber dem roten Opera House verkauft der alte Walt Antiquitäten. Und das nur, weil er muss. Das vergilbte Foto von den Postreitern des legendären Pony Express will er partout nicht hergeben, das behält er lieber für sich. Eine Weile folgt die US-50 ihrem Trail. Zwischen 1860 und 1861, kurz vor dem Bau der Telegrafenleitung, beförderte der Pony Express die Post zwischen St. Joseph (Missouri) und Sacramento (Kalifornien). Alle 30 bis 40 Kilometer wurden die Pferde gewechselt. Für die 3000 Kilometer benötigten die Reiter zehn Tage. In Austin war damals eine der Stationen. Heute stirbt das an die Hänge der Toiyabe Range montierte Nest – „Population: 300“ – langsam vor sich hin. Die meisten Häuser stehen leer, schmutzige Gardinen flattern im Wind. Auch hier die klassische Nevada-Story: erst Boom, dann Bust, dann – mit etwas Glück – Siechtum. Austin hat dieses Glück. Denn die Straße lässt das Kaff nicht einfach so sterben. Sie bringt Mountainbiker, denen es in Marin County in San Francisco und Moab (Utah) zu voll ist. Die Boys und Girls toben sich auf den Single-Tracks über der sterbenden Stadt aus.
Autofahren wie Gott in Frankreich
Im übrigen gibt es Gelegenheiten, das Tempolimit zu überschreiten, natürlich en masse. Zu unterschreiten aber auch. Niemanden stört’s. Hinter Austin halte ich eine Stunde lang 20 km/h durch. Das war das Durchschnittstempo der Postreiter damals. Zwischen Austin und Carson City verkünden Schilder, wenn ihr Trail die Straße kreuzt. Wer aussteigt und aufs Autodach klettert, kann ihn noch sehen. Bis zum Horizont zieht er sich durch den Salbei, oft überwachsen, aber immer noch deutlich erkennbar. „Historic Marker“, historische Hinweisschilder, erzählen dramatische Geschichten. Wie die vom 14-jährigen Billy Tate. Der junge Postreiter wurde westlich von Austin gleich neben der heutigen Straße von Paiute-Indianern aus dem Sattel geschossen. Bevor er ins Gras biss, lieferte er sich mit seinen Gegnern eine zünftige Schießerei, bei der er, so stehts in markingen Worten geschrieben, ein halbes Dutzend von ihnen mit ins Jenseits nahm.
Die Salbeibüsche rascheln im Wind. Wo war man eigentlich selbst mit 14? In Sicherheit, vor dem Fernseher, im Ersten lief „Die Schatzinsel“ von Wolfgang Liebeneiner. Wo ist man jetzt? Auch in Sicherheit. In einem Auto mit Tempomat und Klimaanlage. Bis Carson City habe ich noch reichlich Zeit zum Nachdenken, doch eines weiß ich schon jetzt: Im Grunde hat man es doch verdammt gut. Und das einzige Problem, das man am Ende in Carson City hat, sind zu viele Autos. Wenn man die paar Dutzend Autos dort ein Problem nennen kann ..
Alle Bilder: ©Vita v. Wedel
Weitere Infos gibt es online unter:
Nevada Commission on Tourism: www.travelnevada.com