Key West: Ganz schön betörend

Key West ist 3,2 mal 6,4 Kilometer groß, hat knapp 25 000 Einwohner und empfängt bis zu fünf Millionen Besucher im Jahr. Da kann einem um Amerikas so wunderbar politisch unkorrekten Vorposten in den Tropen angst und bange werden. Doch die Enklave der (Lebens-)Künstler scheint sich noch nicht ganz dem Touristenrummel ergeben zu haben. Ein paar Tage vor meiner Ankunft im Oktober 2013 stimmten drei Viertel der Bewohner gegen eine Pilotstudie über die Vergrößerung der Fahrrinne. Dies Projekt hätte am Ende noch größere Kreuzfahrtschiffe und noch mehr Touristen bedeutet ..

I’d rather be here drinking a beer/Than freezing my ass off in the North, oder: Ich bin lieber hier und trinke ein Bier, als wie mir im Norden den Arsch abzufrieren! Endlich mal eine Nationalhymne mit allgemein verständlicher Botschaft .. 🙂Als Michael McCloud diese Zeilen in den 1980er Jahren schrieb, hatten die Florida Keys gerade ihre Unabhängigkeit von den USA erklärt und die „Conch Republic“ ausgerufen, der Hintergrund: die Abriegelung der Keys durch die Polizei, um Drogenhändler und illegale Einwanderer zu stoppen. Jeder „Conch“ – so nennen sich die Einheimischen wegen der hier gefundenen Muschel gleichen Namens – musste sich an der Polizeisperre ausweisen. Ernst gemeint war die „Conch Republic“ zwar nie. Doch sie war ein deutliches Statement der Conchs: Wir lieben die Keys, wir sind stolz auf unseren toleranten Lebensstil und wir heißen Menschen jeglicher Herkunft, Hautfarbe und sexueller Orientierung bei uns willkommen.

Key West RVConch Republic: Volle Pulle gegen den Mainstream

30 Jahre später sitzt Michael McCloud, in Würde gealtert, auf der kleinen Bühne der Schooner Wharf Bar, schrammelt seine Nationalhymne zum billionsten Mal und begleitet die Überleitungen mit einem Schwall von F-Worten. Aus dem wenigen, was ich in dem nicht jugendfreien Gemurmel sonst noch verstehe, erschließt sich mir dies: Key West ist nicht mehr, was es mal war, Amerika geht dank der Republikaner vor die Hunde, und Halleluja, die Pilotstudie ist erst mal vom Tisch. Von Tätowierungen übersäte Arme schießen in die Höhe. Hände machen das V-Zeichen, aus hundert Kehlen kommt Zustimmung – und der Ruf nach der nächsten Runde „Hurricane Reef Pale Ale“.

Key West Sloppy Joe´sInseln der Muße

Enklaven wie die „Schooner Wharf Bar“ gibt es in Key West noch immer. Es gibt hier auch immer noch Straßen, auf denen Hühner und Katzen herumstreunen und hin und wieder von knatternden Mopeds in die Bougainvilleen gescheucht werden. Und es gibt auch die schönen alten Häuser in Pastellfarben noch, mit ihren weitläufigen Veranden, auf denen die Bewohner in Hängematten die Abende verbringen und den Sonnenstrahlen dabei zusehen, wie sie noch ein paar Minuten in den Palmwedeln hängen bleiben. Und die kleinen Hinterhöfe und Gärten erst! Da wuchert alles, was man an Holz in den Boden steckt, Kokospalmen, Palmetto, Ylang-Ylang, Jacaranda. Da sausen bunte Vögel hin und her, und dort besuchen lächelnde Einheimische einander und sagen, sie seien im Paradies. All´ das gibt es noch. Dort hat sich seit den Zeiten, als Amerikas talentiertester Säufer Ernest Hemingway in Key West morgens Weltliteratur produzierte, nachmittags fischen ging und abends im Sloppy Joe´s Margaritas kippte, nichts geändert – trotz der Duval Street, der Hauptverkehrsachse und lärmenden Partyzone, in deren Richtung jeder Besucher unweigerlich gravitiert und wo gefeiert wird, bis der Arzt kommt und 10 T-Shirts für fünf Dollar verscherbelt werden.

Key West Garden

Noch mehr Touristen? Nein danke ..

Das alte Key West lebt in diesen Gärten fort. Dort mag sich auch der Widerstand gegen noch mehr Kreuzfahrttouristen – 2012 waren es über 700 000 – formiert haben. Und darum ging es: Viele hiesige Geschäftsleute und die Tourismusindustrie befürworteten die Erweiterung der Fahrrinne um gut 30 Meter, um in Zukunft auch für noch modernere, noch größere Kreuzfahrtschiffe attraktiv zu bleiben. Die so für ein paar Stunden in Key West landenden Tagestouristen seien unverzichtbar für die Inselwirtschaft, hieß es, und die Zerstörung von gut 17 Acres Meeresboden, darunter auch intakte, unter Schutz stehende Korallenriffe, deshalb unvermeidbar. Bei der Abstimmung Anfang Oktober sprachen sich jedoch fast drei Viertel gegen die Pilotstudie, die das Signal für die nächsten Schritte gegeben hätte, aus.

Key West Nancy Forrester

Das alte Key West ist noch nicht tot

Mir persönlich liegt nicht viel an den Partyzonen Duval Street und Mallory Square. Als unverbesserlicher Romantiker hätte ich Key West lieber zu Hemingways Zeiten besucht. Ich glaube aber auch, dass Key West es geschafft hat, ein bisschen von der alten Zeit zu retten. Sobald man nämlich die Duval Street verlässt und mit dem Rad die Seitenstraßen erkundet – wer freut sich nicht über so schöne Namen wie Olivia und Angela Street? –  hängt Jasminduft in der Luft. Irgendwo quietscht eine Tür, kräht ein Hahn. In der Elizabeth Street kam ich an einem alten Haus unter einem gigantischen Banyan-Baum vorbei. Ich hatte von Nancy Forrester schon gehört. Dass sie eine Künstlerin sei und Papageien adoptiere. Es wurde eine dieser Begegnungen, an die man noch lange denkt. Sie erzählte mir, wie ihr immer noch in allen Reiseführern als „Secret Garden“ ausgewiesener Dschungel enteignet wurde, weil sie die Eigentumssteuer nicht mehr bezahlen konnte, wie sie für ihre Papageien ein neues Zuhause sucht und wie vor 40, 50 Jahren die Straßenhändler tagsüber nur so lange an der Duval Street blieben, bis sie genug verdient hatten, um sich wieder ein paar Tage über Wasser zu halten. Einer ihrer Lieblinge kackte auf meine Hose. Nancy wirkte nicht wie 75.

Key West Waterfront

Viva Key West: Let it pour!

In der Schooner Wharf Bar geht der Barkeeper ein wenig in die Knie. Dann kneift er ein Auge zusammen, peilt über den Zapfhahn den Stand der Sonne und sagt „zwanzig vor fünf“. Dabei verzieht er das Gesicht, als habe jemand ein Glas Milch bestellt. Ob ich wüsste, dass die Bier- und Wein auf die Insel schaffenden Lastwagen schwerer seien als die Tanklaster. Die dürften nämlich nur drei Viertel ihres zulässigen Gesamtgewichtes transportieren, wenn sie nach Key West kämen. Wegen der vielen Brücken auf dem Weg hierher. Nee, wusste ich nicht. Ob es stimmt oder ob er mich auf den Arm nimmt, ist nicht erkennbar. Ist auch egal. Als der Rum knisternd über die Eiswürfel fließt, steigt ein Kältewölkchen auf. Schön, so in der Hitze.

 

Weitere Informationen online unter:

Florida Keys: www.fla-keys.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Autor: Ole Helmhausen

Ole Helmhausen ist freiberuflicher Reisejournalist, Autor, Fotograf, Blogger und VJ und bereist seit 20 Jahren im Auftrag deutschsprachiger Zeitungen, Magazine und Verlage die USA und Kanada. Er lebt in Montréal (Kanada). Sie finden ihn auch auf: Facebook, Google+ und Twitter.

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