In memoriam „MV Ljubov Orlova“

Sie war keine Schönheit. Unter den Kreuzfahrtschiffen – denen mit Swimmingpools, Video-Arkaden, Diskotheken und Gourmet-Restaurants – war sie das hässliche Entlein. MV Ljubov OrlovaDie Einrichtung ihrer Kajüten schien aus einer sibirischen IKEA-Filiale zu stammen, im Bordrestaurant gab es hausgemachtes. Doch was sie an Glanz und Glitter vermissen ließ, machte sie mit Charakter mehr als wett. Wer auf der von kanadischen Inuit gecharterten „Lyubov Orlova“ einen Trip durch die Arktis buchte, lernte eine Menge über die Inuit-Kultur, die Erwärmung des Planeten und die sich verändernden Lebensbedingungen von Eisbären, Walen und anderen Tieren. Für jungen Inuit, die eine Karriere im Tourismus anpeilten, war das Schiff ein schwimmendes Seminar. Hier hielten sie ihre ersten Vorträge vor Touristen aus aller Welt, von hier aus organisierten sie Exkursionen und Besichtigungen an Land. Und abends gab es Workshops und informelle, interkulturelle Begegnungen – statt Shuffleboard, Disko und Kino.

2er-Kajüte

Die 100 m lange „Ljubov Olova“ wurde noch zu Sowjetzeiten gebaut und später von Arktis- und Antarktis-Veranstaltern gechartert. Eine Weile schipperte sie zwischen den Polen hin und her, für Quark Expeditions zum Südpol, für den Inuit-Veranstalter Cruise North durch die Arktis. Im September 2010 wurde sie in St. John´s (Neufundland) an die Kette gelegt – angeblich wegen einer aufgrund technischer Mängel kurzfristig abgesagten Expedition, die Cruise North hohe Verluste bescherte. Anfang 2012 wurde sie verkauft, um verschrottet zu werden. Ein Jahr später verließ sie St. John´s, gezogen von einem Schlepper, Richtung Dominikanische Republik, um dort zerlegt zu werden. Wenig später wurde sie nach Osten treibend gesichtet – ohne Schlepper. Ob dieser das Tau gekappt hatte, oder ob dieses gerissen war, ist nicht klar.

Die russische Crew bittet zum TanzWährend ich dies schreibe, driftet die „Ljubov Orlova“, nur noch von Ratten bevölkert, als Geisterschiff mitten im Atlantik. Zuletzt (http://www.spiegel.de/panorama/lyubow-orlowa-geisterschiff-alarmiert-umweltschuetzer-a-885179.html) wurde sie 2400 km westlich von Irland gesichtet, seitdem scheint sie verschwunden. Was aus ihr werden soll, niemand weiß es. In internationalen Gewässern fühlt sich keiner für sie verantwortlich. Ich finde das alles sehr schade. Ich hatte eine tolle Zeit an Bord dieses Schiffs. Habe viel  gelernt, bin netten Menschen begegnet und habe schöne Geschichten mitgebracht (u.a. http://www.spiegel.de/reise/fernweh/arktis-das-schmelzende-paradies-a-543469.html). Sei es wie es sei: Die Erinnerung bleiben, und hoffentlich gibt es bald wieder ein ähnliches Schiff mit ebenso netter Besatzung!

Eisberg voraus!

R.I.P.

 

 

 

 

Autor: Ole Helmhausen

Ole Helmhausen ist freiberuflicher Reisejournalist, Autor, Fotograf, Blogger und VJ und bereist seit 20 Jahren im Auftrag deutschsprachiger Zeitungen, Magazine und Verlage die USA und Kanada. Er lebt in Montréal (Kanada). Sie finden ihn auch auf: Facebook, Google+ und Twitter.

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